Zum Tod von Heidi Gehrig, Kämpferin für die Individualisierende Gemeinschaftsschule und Autorin mehrerer Bücher zum Altersdurchmischten Lernen.
Von Christian Graf
Selbstbestimmt, wohlerwogen und menschenwürdig, so beschreibt Heidi Gehrig ihren Abschied aus dieser Welt. Wer ihr je begegnet ist, erkennt in diesen drei Worten wieder, was Heidi in ihrem Leben und in der Arbeit als Lehrerin und Schulbegleiterin wichtig war: Das Recht des Individuums, in seiner Einzigartigkeit anerkannt und wertgeschätzt zu werden. Damit dies in Schulen gelingt, braucht es aus Sicht von Heidi Gehrig ein starkes, solidarisches Schulteam. «Achtet darauf, dass in eurem Team und in euren Klassen niemand allein gelassen wird», riet sie den zahlreichen Kollegien, die sie bei der Schulentwicklung begleitete.
Ich hatte als Projektleiter im Schulverlag das Glück, Heidi Gehrig und ihre Vision einer Individualisierenden Gemeinschaftsschule, die auf einem demokratiepädagogischen Fundament aufbaut, kennenzulernen. In Zusammenarbeit mit Edwin Achermann erhielt das Konzept des altersdurchmischten Lernens (adL) eine klare Kontur. In ihrer Unterschiedlichkeit ergänzten sich die beiden und forderten sich gleichzeitig in ihren Ansprüchen an Klarheit, Struktur und Verständlichkeit. Der Erfolg ihrer gemeinsamen Publikation im Jahre 2011 beruhte auf der intensiven und respektvollen Auseinandersetzung mit den Gedanken und Ideen des anderen. Die Netzwerktreffen mit den Schulen, die ihre Erfahrungen mit adL im Licht der Manuskriptentwürfe spiegelten und reflektierten, gehören zu meinen wertvollsten Erfahrungen des Zusammenspiels von Buchautor:innen und Schulteams.
Nach dem Tod von Edwin Achermann wagte sich Heidi Gehrig an die Vertiefung des Konzepts in Bezug auf die schulische Gemeinschaft. Sie beschrieb in 12 Impulsen die Ziele und die Umsetzung der Individualisierenden Gemeinschaftsschule auf der Basis von «Demokratie und Menschenrechte leben und lernen». Der Prozess war intensiv. Ihre Sorgfalt und Akribie, den Lehrpersonen und Erfahrungen der sieben Kontaktschulen gerecht zu werden, brachten sie ab und zu an den Rand der Erschöpfung. Denn auch die Buchvernissage gestaltete Heidi zu einem grossen Teil selbst. Genau so, wie sie Beteiligung und Anerkennung beschrieben hatte: Kinder und Jugendliche stellten an verschiedenen Stationen ihre Vorhaben und Erfahrungen vor und beantworteten den Erwachsenen alle Fragen. Heidi organisierte zwar den Anlass, im Zentrum standen aber voll und ganz die Kinder und Jugendlichen.
Aus unserer langjährigen Zusammenarbeit erwuchs mit der Zeit eine Freundschaft, geprägt von grossem Respekt und gegenseitiger Anteilnahme. So verneige ich mich vor Heidi, einem wundervollen Menschen, und ihrem Wirken für eine individualisierende Gemeinschaftsschule. Bleiben wir dran!
Publikationen
Edwin Achermann, Heidi Gehrig (2011): Altersdurchmischtes Lernen AdL – Auf dem Weg zur Individualisierenden Gemeinschaftsschule. Bern, Schulverlag plus.
Heidi Gehrig (2018): Individualisierende Gemeinschaftsschule. Demokratie und Menschenrechte leben und lernen. Bern, Schulverlag plus.
Agathe Schudel (2019): Visionärin, Realistin, Kämpferin – sie zog aus, die Schule zu demokratisieren. In: Profil 1/2019. Bern, Schulverlag plus.